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CHINA

Bailongsi: Archäologisches Projekt in China

Grabungen 2004
Anhaltende heftige Regenfälle behinderten die Grabungsarbeiten am Tempel des Weissen Drachens in der chinesischen Provinz Shandong. Das fünfköpfige Schweizer Team unter der Leitung von Prof. Helmut Brinker, Kunsthistorisches Institut der Universität Zürich, reiste im August 2004 für eine zweite Feldkampagne in das ostchinesische Dorf Shijiazhuang und führte die Kooperation mit dem Archäologischen Institut der Provinz Shandong weiter.

In der Sondiergrabung im Jahr 2003 hatte sich abgezeichnet, dass es sich beim Tempel um eine in zwei Bauphasen errichtete Anlage handelte, die sich durch eine zentrale Plattform auszeichnete. Die Grabung auf rund 1000m2 bestätigte diese Annahme. Die Plattform, die durch eine Backsteinmauer verkleidet war, diente ursprünglich als Fundament für ein Tempelgebäude, von dem durch die starke Umterrassierung nur noch Reste von Baukeramik gefunden werden konnten. Diese Plattform wurde südlich von der in der ersten Kampagne entdeckten Blendmauer aus schwarzen Klinkern abgeschlossen; an den drei weiteren Seiten wurde durch eine Geländeabtiefung ein Umgang geschaffen, der wiederum durch eine noch teilweise erhaltene Umfassungsmauer abgeschlossen war. Die Aufgänge zum Hauptgebäude befanden sich seitlich zur zentralen Plattform in dem Bereich, wo auch sekundär angelegte Entwässerungskanäle und zwei Annexmauern lokalisiert werden konnten. Das Hauptgebäude war mit massiven Ziegeln eingedeckt und wurde durch dekorierte und teilweise farbig gefasste Traufkantenziegel abgeschlossen. Reste von rot eingefärbtem Kalk lassen den Schluss zu, dass die Gebäudemauern ursprünglich verputzt waren.

Nordöstlich des Geländes hoben die Archäologen zudem Brennöfen aus, in denen die Baukeramik gebrannt wurde. Weitere Funde von Figurenfragmenten belegten die Vermutung, dass der Tempel des Weissen Drachens im 7. Jahrhundert angelegt wurde. Dieses Jahr wird das Grabungsteam die bisherigen Resultate aufarbeiten und erst 2006 wieder eine neue Grabung durchführen.

Kontakt:
Universität Zürich, Kunsthistorisches Institut
Abteilung für Kunstgeschichte Ostasiens
Gablerstrasse 14, Museum Rietberg,
8002 Zürich

www.khist.uzh.ch/chairs/ostasien.html
http://www.research-projects.uzh.ch
http://www.archaeologie.info/drache

Das Tempelareal gegen Süden. In der Mitte die zentrale Plattform, umgeben von dem mit Blendmauern ausgekleideten, hufeisenförmigen Graben mit den beiden Wasserausflüssen. (2004)

Schulung der chinesischen Facharbeiter am Theodoliten. Im Hintergrund sind chinesische Hilfskräfte und das als Büro dienende Grabungszelt sichtbar. (2004)

Zwei Brennöfen, die ca. 30 m östlich des Tempelstandortes lagen. Im Vordergrund ein Graben mit Einfeuerungsöffnungen. Dahinter lagen etwas erhöht die Brennkammern, deren Kuppeln zusätzlich durch die Pfeiler in der Mitte gestützt wurden. (2004)

Die Vorgeschichte
Kultfiguren aus dem sechsten Jahrhundert, der Frühzeit des chinesischen Buddhismus, gehören zu den schönsten Kunstwerken, die das Reich der Mitte hervorgebracht hat. Vor allem in der ostchinesischen Provinz Shandong fand man in den letzten Jahren Steinskulpturen von aussergewöhnlicher Qualität. Einige Funde wurden der internationalen Öffentlichkeit in grossen Sonderausstellungen vorgestellt. In Zürich, Berlin und London sorgte die Ausstellung «Die Rückkehr des Buddha» mit Figuren aus Shandong für Besucherrekorde.

Noch vor wenigen Jahren jedoch waren die Bildhauerwerkstätten in Shandong unter Kunsthistorikern nahezu unbekannt. Erst die zufällige Entdeckung von mehr als 400 farbenprächtig bemalten Figuren, die Mönche vor knapp 900 Jahren in ihrem Tempel vergraben hatten, lenkte Mitte der neunziger Jahre das Interesse der Forschung auf dieses Thema. Die Skulpturen sind seit dem genau untersucht und diskutiert worden. Die Tempelruinen, in denen sie standen, wurden jedoch bei der Notbergung, bei Baumassnahmen und bei Raubgrabungen weitgehend zerstört. Die Hintergründe der Entstehung und Bestattung der Figuren sowie die Tempelumgebung, in der sie verehrt wurden, liegen deshalb nach wie vor vollkommen im Dunkeln.

Das Bailongsi-Projekt zielt auf diese Forschungslücke. Mit dem «Tempel des Weissen Drachen» wurde ein Tempelgelände gefunden, dass noch weitgehend unberührt ist. Es ist zu erwarten, dass nicht nur Figuren geborgen werden, sondern dass ein Tempel des sechsten Jahrhunderts in seiner Gesamtheit untersucht werden kann. Erstmals lassen sich genauere Informationen über die Anlage und Bauweise der Hallenfundamente, die Verteilung der Höfe, die Lage der Pagoden und die Aufstellung der Kultbilder gewinnen. Der Bailongsi wäre der erste frühe buddhistische Tempel in China, der mit ausländischer Beteiligung erforscht und ausgegraben wird.

Der Tempel des Weissen Drachen
In den östlichen Ausläufern des Taishan, auf den Terrassen eines Maisfelds, hoben Bauarbeiter im Jahr 1999 den Schacht einer Wasserleitung aus. Dabei stiessen sie auf Bruchstücke von buddhistischen Figuren und auf Spuren eines selbst den Dorfbewohnern unbekannten Tempels. Die Figuren lassen sich auf das sechste Jahrhundert datieren. Das Fragment einer Inschrift zeigt die Jahreszahl 541.

Mitarbeiter des örtlichen Museums fanden heraus, dass es sich um den «Tempel des Weissen Drachen» handelte. Er ist aus frühen Lokalchroniken bekannt. Sie berichten, dass der Tempel bis in die 80 Kilometer entfernte Hauptstadt von Shandong bekannt war. Er verfügte über eine Geisterhalle, einen heiligen Teich und eine Kulthöhle. Über die Anfänge des Tempels ist in den Texten nichts verzeichnet.

Die Tempelstätte war bis vor kurzem unbekannt. Im September 2002 zeigten jedoch zwei frisch gegrabene Löcher, dass auch dieser Tempel akut von Raub und Zerstörung bedroht ist. Es muss schnell gehandelt werden, um diesen wichtigen Fund zu sichern und zu bewahren.

Bruchstück eines Buddha aus dem Bailong-Tempel

Der Weisse Drache

Satellitenaufnahme des Gebiets um Linqu. Rote Kreuze bezeichnen die Fundstätten.

Zürich-Shandong
Die frühe buddhistische Kunst Chinas wird nur an wenigen Institutionen ausserhalb Chinas untersucht. Zürich hat hier einen Forschungsvorsprung. Helmut Brinker vertritt an der Universität Zürich dieses Fach seit Jahrzehnten. Das Museum Rietberg verfügt über die wichtigste Sammlung früher chinesischer buddhistischer Skulptur in Europa und organisierte die erste Sonderausstellung der Funde aus Shandong ausserhalb Chinas.

Der wissenschaftliche Katalog zur Ausstellung Die Rückkehr des Buddha entstand an der Abteilung für Kunstgeschichte Ostasiens. Autoren aus der Schweiz, Deutschland, China und den USA waren daran beteiligt. Zwölftausend Exemplare der deutschen und englischen Versionen wurden weltweit verkauft. Buch und Ausstellung erhielten sehr positive Reaktionen von chinesischer Seite. Diese Vertrauensbasis ist eine gute Grundlage für eine weitergehende Zusammenarbeit.

Archäologische Ausgrabungen mit ausländischer Beteiligung waren in China bisher nur in Ausnahmefällen möglich. Die chinesischen Verantwortlichen räumen der Schweiz Möglichkeiten ein, die bis heute kaum einem westlichen Land gewährt wurden.

China und die Schweiz haben traditionell eine unterschiedliche Forschungspraxis. Fachleute aus beiden Ländern werden bei diesem Pilotprojekt ihr Wissen und ihre Methoden gemeinsam für die Erhaltung und Untersuchung bedrohten Kulturgutes einsetzen.

Der Schweizer Botschafter in Beijing hat diesem Projekt bereits seine volle Unterstützung zugesagt.

Projektablauf und Organisation
Vorprojekt: Das Vorprojekt wurde im September 2002 durchgeführt. Gemeinsam mit chinesischen Fachleuten besichtigte Lukas Nickel, Assistent an der Abteilung für Kunstgeschichte Ostasiens, die Fundstätten von sechs Tempeln. Aus dieser Gruppe konnte der Bailong-Tempel als besonders geeignet ausgewählt werden.

Erste Grabungskampagne: Das Projekt ist auf drei Jahre konzipiert. Die erste Feldkampagne startet im Herbst 2003 und wird sechs Wochen dauern. Es sollen die Ausmasse der Tempelanlage bestimmt und bedrohte Befunde, vor allem ein vielleicht vorhandenes Figurendepot, gesichert und ausgegraben werden.

Weitere Grabungskampagnen: Der Winter und das Frühjahr 2004 gelten der Sichtung und Aufarbeitung der ersten Befunde. Dabei werden die Grabungsschwerpunkte für die Folgekampagnen festgelegt. Mehrere Flächengrabungen sollen genauere Erkenntnisse über die Baugeschichte und Struktur der Tempelanlage liefern.

Organisation des Projekts
Auf Schweizer Seite ist das Projekt an der Abteilung für Kunstgeschichte Ostasiens der Universität Zürich angesiedelt. Die Leitung haben Prof. Dr. Helmut Brinker und der Assistent Lukas Nickel. Es werden weiterhin Mitarbeiter der Kantonsarchäologie der Stadt Zürich am Projekt teilnehmen. Es ist geplant, auch Studenten der Abteilung in das Projekt einzubinden.

Auf chinesischer Seite wird das Projekt vom Archäologischen Institut der Provinz Shandong übernommen. Verantwortlich sind die Direktorin Li Chuanrong und Tong Peihua. Die Auslandabteilung des Kulturamtes von Shandong, das Provinzmuseum Shandong sowie das Kreismuseum Linqu haben bereits ihre volle Unterstützung und aktive Mitarbeit zugesagt.

Ziele
Das Projekt hat Pilotcharakter. Erstmals werden die Kräfte von Institutionen der Schweiz und Chinas für ein dringendes archäologisches Projekt vereint. Langfristig werden folgende Ziele angestrebt:

Förderung der internationalen Zusammenarbeit unter Bildungsinstitutionen, Kulturverantwortlichen und Forschern;

  • Sicherung von extrem gefährdeten Kulturgütern und Verhinderung von illegalen Transfers von Funden im Sinne des zu ratifizierenden Kulturgüterschutzgesetztes;
  • Sensibilisierung der chinesischen Archäologie für die Bedeutung religiöser Kunst sowie die Anregung weiterer Untersuchungen;
  • Unterstützung der Bemühungen der Mitarbeiter lokaler Museen bei der Bewahrung von Bodendenkmälern;
  • Demonstration der Möglichkeiten der modernen europäischen Archäologie durch die Publikation der Ergebnisse in China;
  • Einbindung und Weiterentwicklung luftbildarchäologischer Untersuchungsmethoden;
  • Förderung von Schweizer Nachwuchskräften und deren Einbindung in die internationale Forschung.
  • Die Grabungsergebnisse werden in China und in der Schweiz veröffentlicht. Das Projekt soll so einen substantiellen Beitrag zur internationalen Forschung zur frühen buddhistischen Kultur und Kunst in China leisten.

Prof. Dr. Helmut Brinker, Projektleiter